Nachsicht bei Plagiat?

Miroslav Imbrišević

In letzter Zeit häufen sich die Plagiatsvorwürfe nicht nur für Politiker, sondern auch für Hochschullehrer. Das verwundert nicht, denn die Devise an der Uni ist schon seit langem: „publish or perish“. Die Politik drückt gern ein Auge zu, aber wie sollte man damit an der Universität umgehen? Es geht mir hier nicht um einmalige „Ausrutscher“, sondern um großflächiges Abschreiben.

Der neueste Fall ist der von Ulrike Guerot. Sie schreibt auf Twitter (24.2.2023): „Die Uni Bonn hat mir wegen Plagiat in einem nicht-wissenschaftl. Buch von 2016 zum 31.3. gekündigt. Ich werde dagegen juristisch vorgehen (…). Ich wäre die erste Person, der in D wegen „Plagiat“ gekündigt würde: es wird spannend“.

Guerot scheint zu glauben, dass Plagiieren in einem nicht-wissenschaftlichen Buch unbedenklich oder zumindest weniger bedenklich ist als in einer wissenschaftlichen Publikation. Das halte ich für falsch, denn die wissenschaftlichen Standards gelten in beiden Bereichen. Weiterhin meint Guerot, dass ihr ein Unrecht geschehe, denn es wurde in Deutschland noch niemandem wegen Plagiat gekündigt (Guerot ist nicht verbeamtet, daher keine „Entlassung aus dem Dienst“.). Dies ist auch falsch. Die FAZ (24.2.2023) schreibt: es „weiß niemand genau, ob es solche Kündigungen wegen Plagiaten schon gegeben hat (nicht alle Gerichtsentscheidungen werden veröffentlicht), zum anderen gab es bereits Kündigungen von Hochschullehrern aufgrund des Verlusts eines Doktorgrades, ausgelöst durch Plagiate.“

Plagiat führt nicht immer zur Enlassung, wie im Fall der Soziologin Cornelia Koppetsch an der TU Darmstadt. Das Plagiieren war hier so umfangreich, dass es zu zwei Disziplinarverfahren kam; jedes Mal wurden universitäre Sanktionen verhängt. Eine Untersuchungskommission konstatierte eine (Spiegel, 30.5.2022) „verfestigte (unrichtige) Einstellung“ bei der Professorin. Koppetsch forscht und lehrt weiter an der TU. Zur Art der Sanktionen wollte sich die Uni (Forschung & Lehre) „aus dienstrechtlichen Gründen“ nicht äußern. Die TU Darmstadt glaubt offenbar, dass das Fehlverhalten durch andere Leistungen (welche?) ausgeglichen werden kann. Das ist ein falscher Ansatz. So etwas geht z. B. im Abitur: ich konnte meine Fünf in Mathematik durch Einsen in Deutsch, Geschichte, Philosophie und Politik ausgleichen. Aber meine ungenügenden Leistungen in Mathematik waren kein Fehlverhalten – niemand konnte mir ein „verwerfliches mathematisches Verhalten“ vorwerfen. Deshalb war der Ausgleich durch andere Leistungen im Abitur möglich.

Wenn jemand als Plagiator überführt wird, dann verliert die Person das Ansehen innerhalb der Gemeinschaft der Gelehrten. Tommy Lee Jones erklärt dies einer Studentin in dem Film Man of the House: „Plagiarism is an academic crime, punished by academic death.“ Aber der Hochschullehrer ist nicht nur Forscher, sondern auch Lehrer.

Als Reaktion auf die Plagiatsvorwürfe gegen Koppetsch erklärte die Deutsche Gesellschaft für Soziologie: „Als Fachgesellschaft der akademisch lehrenden und forschenden Soziologie sieht sich die DGS in der Verantwortung für die Ausbildung der Studierenden, denen Lehrende die Standards des Faches auch ganz praktisch vermitteln und vorleben müssen – Studierenden, die überdies bei vergleichbarem Verhalten Gefahr laufen, ihren Prüfungsanspruch zu verlieren.“ Das heißt, ein Dozent, der bekanntlich abgeschrieben hat, wird Mühe haben, den Studenten zu vermitteln, dass man sich nicht mit fremden Federn schmücken darf. Durch ein solches Fehlverhalten verliert ein Professor einen Großteil seiner Autorität. Man wird ihn auslachen, wenn er Erstsemestern sauberes wissenschaftliches Arbeiten in Bezug auf das Zitieren beibringen will.

Schlimm ist es auch, wenn man von seinen Studenten abkupfert. 2008 wurde bekannt, das ein Bonner Professor die Examensarbeit einer Studentin unter seinem Namen veröffentlichte. Als Folge durfte er nicht mehr als Prüfer fungieren. Laut Spiegel (18.3.2008) erklärte der Dekan der Philosophischen Fakultät, Jürgen Fohrmann: „Wir wollen zeigen, dass Professoren, die Vorbild sein sollen, bei geistigem Diebstahl nicht schonender behandelt werden als Studierende“.

Ulrike Beisiegel, Ombudsfrau der Deutschen Forschungsgemeinschaft für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten erklärte (Spiegel, 12.5.2007): „Kollegen und Kolleginnen, die in größerem Maße plagiieren, müssen abgemahnt werden oder aus dem Job gehen. Das sind schließlich die Vorbilder. Da wird noch allzu oft mit einem Schulterzucken weggeschaut: Hat er halt ein bisschen abgeschrieben, nun ja.“

Ein einfaches Abmahnen halte ich bei sytematischem Plagiieren für verfehlt. Denn der Hochschullehrer bildet ja neue Generationen von Forschern heran. Er genügt dem, was er selbst von den Studenten verlangt, nicht. Aber, was noch schlimmer ist, der Gelehrte schädigt das, was ihm aufgegeben ist: die Forschung und Lehre zu fördern. Er sabotiert die Institution „Wissenschaft“ (nicht nur die Uni), in der er tätig ist.