Plagiat: Versuch einer Reinwaschung

[Joan of Arc (1412 – 1431) in battle at the Siege of Orléans, France, 1428. (Photo by Kean Collection/Getty Images)]

Christoph Lövenich bespricht im Onlinemagazin Telepolis (17. und 18. 2. 2024) die Plagiatsvorwürfe gegen Ulrike Guérot. Es handelt sich hier um den Versuch einer Reinwaschung, der aber kläglich scheitert.

Die Bonner Universität hatte sich, wie bekannt, von Guérot getrennt, nachdem der Trierer Politologe Prof. Makus Linden in zwei Gastbeiträgen in der FAZ Plagiatsvorwürfe erhoben hatte. Guérot will sich gerichtlich gegen die Kündigung wehren; der Termin vor dem Arbeitsgericht, bereits drei Mal verschoben, ist für den 24. April dieses Jahres angesagt.

Über die Motivation der Bonner Uni möchte ich nicht spekulieren – Lövenich tut das aber sehr wohl: „Diese Gründe liegen auf der Hand: die ebenso öffentlichkeitswirksamen wie abweichenden Positionen der Politologin zur Corona-Politik und zum Ukraine-Krieg.“ Hier liegt der erste Denkfehler von Lövenich: der angebliche Auslöser für die Kündigung (falls dem wirklich so wäre) negiert nicht die Substanz der Vorwürfe. D.h., auch wenn hier politische Motive eine Rolle spielen sollten, das Plagiat wird dadurch nicht aus dem Weg geräumt – es steht immer noch im Raum.

Lövenich beginnt seine Apologie mit dem Versuch, die Glaubwürdigkeit Lindens zu untergraben, denn Linden hält nicht viel von Guérots Corona-Thesen. Lövenich insinuiert, dass Lindens Plagiatsvorwürfe aus politischer Gegnerschaft resultieren. Aber auch hier können Lövenichs Spekulationen über Lindens Beweggründe die abgeschriebenen Teststellen nicht aus der Welt bringen.

Lövenichs nächster Streich ist ein Angriff auf die Integrität der Gremien an der Bonner Universität. Er schreibt:

„In der Zusammenstellung der Vorwürfe durch die Ständige Untersuchungskommission zur Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens vom 1. Dezember 2022 werden zu den Werken übrigens weder Verlag noch Verlagsort genannt. Zumindest einen von beiden hätte sie im Rahmen einer gängigen Zitationsweise jeweils angeben sollen, wenn sie schon selbst Zitatfehler bei Ulrike Guérot bemängelt – zumal in einem Fall durch unterschiedliche Ausgaben sogar Verwechslungsgefahr bestünde.“

Lövenich versucht hier der Kommission falsches Zitieren nachzuweisen, um Guérots Abschreiben zu relativieren. Das geht aber in die Hose, denn die Kommission hat nicht abgeschrieben – sondern nur die bibliographischen Angaben verkürzt. Guérot hingegen hat abgeschrieben und die Quellen überhaupt nicht angegeben.

Dann versucht Lövenich den Standard für das Plagiieren bei populärwissenschaftlichen Büchern zu senken (das ist auch Guérots Rechtfertigung). Denn es handelt sich bei Guérots drei Büchern um: ein „persönliches Wutbuch“, „eine Streitschrift“, und um einen „Essay“, der „Polemik“ enthalte.

Lövenich stellt fest: „Es geht um politische Bücher, nicht um politikwissenschaftliche.“ Er schlußfolgert, dass man von politischen Büchern nicht das Gleiche erwarten kann wie von einer wissenschaftlichen Abhandlung und stützt sich dabei auf den Guérot-Kritiker Linden (der dies in seiner Rezension von Patrick Bahners Buch von 2011 “Die Panikmacher“ gesagt haben soll). Lövenich versucht hier, Lindens Äußerungen in Bezug auf Bahners Buch, auf das Abschreiben von Guérot anzuwenden, um dadurch eine vermeintliche Inkonsequenz bei Linden zu konstruieren. Lövenich macht hier wieder denselben Denkfehler wie bei seiner Kritik der Bonner Untersuchungskommission: weder die Kommission noch Bahners haben abgeschrieben.

Aber noch viel schlimmer ist folgende Aussage von Lövenich: „Ein Sachbuch, auch ein populärwissenschaftliches, ein meinungsgeprägter Essay, muss nicht dem hohen Standard einer wissenschaftlichen Zitierweise entsprechen.“ Hier werden zwei Dinge vermischt und verschleiert: 1. wie man zitiert (z.B. gemäß dem Harvard-Stil) und 2. dass man zitiert. Wie man zitiert bleibt dem Autor überlassen, aber dass man zitiert – und nicht abschreibt – gilt auch für populärwissenschaftliche Bücher, seien es Streitschriften, Essays oder Wutbücher.

Lövenich beschreibt das Vorgehen der Bonner Uni so: nachdem die Plagiatsvorwürfe von Linden in der FAZ erschienen waren, wurde der Ombudsmann für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Universität Bonn, der Jurist Prof. Klaus F. Gärditz, tätig. Er bat die Kommission für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die Sache zu prüfen. Lövenich strickt daraus eine Seilschaft zwischen Gärditz und dem Vorsitzenden der Kommission, Prof. Christian Hillgruber. Dieser ist sein Kollege aus der jurististischen Fakultät, und beide sind im Vereinsvorstand der „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ – und Guérot hat sich zu Schwangerschaftsabbrüchen bekannt. Aha, das ist also der Grund! Lövenich spinnt das Netz weiter: Gärditz ist Gastautor bei der FAZ, wo Patrick Bahners als Journalist tätig ist. So schließt sich der Kreis mit dem bereits erwähnten Prof. Linden, der ja auch bei der FAZ publiziert hat.

Da wir gerade beim Stricken von Seilschaften sind: Lövenich versäumt es auf eigene „Seilschaften“ hinzuweisen; das Buchkapitel, auf dem beide Telepolis-Artikel basieren, erscheint im Frankfurter Westend-Velag, so wie das Buch von Guérot („Wer schweigt, stimmt zu“, 2020) auch.

Im zweiten Teil von Lövenichs Apologie beruft er sich auf den „Guttenberg-Standard“ des Plagiierens. Die Übernahmen bei Guérot sehen laut Lövenich so aus:

„in “Wer schweigt” gut 3 Manuskriptseiten auf 144 Buchseiten,

in “Republik” gut 6 Manuskriptseiten auf 368 Buchseiten und

in “Bürgerkrieg” gut 1 Manuskriptseite auf 96 Buchseiten.“

Lövenich vergleicht das dann mit der Guttenberg-Dissertation, bei der man „auf eine dreistellige (!) Seitenanzahl (bei netto 393 Buchseiten)“ käme. Damit wäre also Guérot aus dem Schneider, denn sie hat ja, im Vergleich zu Guttenberg, viel weniger abgeschrieben. Aber so einfach ist das beim Plagiieren nicht.

Es handelt sich, zumindest für das Buch „Wer schweigt, stimmt zu“ nicht um Flüchtigkeitsfehler, wie der Westend-Verlag versicherte. Guérot übernimmt fünf Textpassagen aus dem Kapitel “Wo alles wahr ist, auch das Gegenteil“ des Psychologen Paul Watzlawick (aus dem Buch “Wie wirklich ist die Wirklichkeit”). Sie erwähnt Watzlawick eine Seite vorher: „In seinem 1978 erschienenen Buch Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen klärt der berühmte österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick auf amüsante Weise darüber auf, dass die Wirklichkeit nicht immer das ist, was wir für die Wirklichkeit halten. Was wir Wirklichkeit zu nennen pflegen, ist, so Watzlawick, kurzgefasst, das Ergebnis zwischenmenschlicher Kommunikation.“

Bevor Guérot mit dem Abschreiben beginnt, setzt sie folgene Erläuterung voraus: „Was Watzlawick zu zeigen versucht, ist, dass Wirklichkeiten – in dem Sinne, wie wir uns Wirklichkeiten meist naiv vorstellen – zuerst im Kopf entstehen. Und dass man sie deswegen umdrehen kann, in dem Sinne, dass da, wo etwas Bestimmtes wahr scheint, immer auch das Gegenteil gedacht werden kann. Wie eben bei der Kernkraft. Watzlawick bedient sich bei seinen Erläuterungen der beiden Romane von Fijodor Dostojewski, Der Idiot und Die Brüder Karamasow.“

Guérot übernimmt dann eine sieben Zeilen lange Textstelle von Watzlawick. Da die Anführungsstriche fehlen mag der Leser das, zumindest zu Beginn, für eine Paraphrase halten, aber der Leser weiß nicht, wo Watzlawick endet und wo Guérot beginnt.

Aber damit nicht genug; Watzlawick zitiert in besagter Textstelle Hermann Hesse. Jeder Autor wäre froh sich auf so einen berühmten Namen wie Hesse zu berufen, nicht aber Guérot. Warum? Sie behält das Hessezitat bei, streicht aber die zweimalige Nennung Hesses bei Watzlawick weg. Ein Plagiat im Plagiat.

Mir ist schleierhaft wie sie beim Einfügen dieser und weiterer Textpassagen von Watzlawick in ihren Text die Anführungsstriche fünf Mal ausgelassen hat. Aber noch erstaunlicher ist die Übernahme des Gedankengangs von Watzlawick, denn die Abfolge liegt nicht auf der Hand. Hier wird auf qualitativ hohem Niveau (nicht nur quantitativ) abgeschrieben. Watzlawick bespricht zuerst Dostojewski, dann Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“ und kommt dann zu „Alice im Wunderland“. Guérot folgt wie selbstverständlich dieser Reihenfolge. Aber darauf muß man (i.e. Watzlawick) erst mal kommen. Um das zu verdeutlichen: offensichtlich wäre z.B. der Gedankengang von Platon zu Aristoteles oder eine solche Abfolge: Kant-Fichte-Schelling-Hegel. Die Dreierverbindung, die Watzlawicks herstellt, ist seine geistige Leistung und Guérot erwähnt mit keinem Wort, dass sie ihm diese schuldet. Der Leser gewinnt den – falschen – Eindruck, dass Guérot die Urheberin dieser Geistesblitze ist.

Wenn man sich bloß auf Software beschränkt und nur mechanisch auf identische Textpassagen schaut, dann übersieht man das qualitative Plagiieren: die Übernahme origineller Gedankengänge. Leider fehlt es bei Lövenich an solchen originellen Gedankengängen – es besteht also keine Gefahr, dass jemand von ihm abschreiben würde.

Nachsicht bei Plagiat?

Miroslav Imbrišević

In letzter Zeit häufen sich die Plagiatsvorwürfe nicht nur für Politiker, sondern auch für Hochschullehrer. Das verwundert nicht, denn die Devise an der Uni ist schon seit langem: „publish or perish“. Die Politik drückt gern ein Auge zu, aber wie sollte man damit an der Universität umgehen? Es geht mir hier nicht um einmalige „Ausrutscher“, sondern um großflächiges Abschreiben.

Der neueste Fall ist der von Ulrike Guerot. Sie schreibt auf Twitter (24.2.2023): „Die Uni Bonn hat mir wegen Plagiat in einem nicht-wissenschaftl. Buch von 2016 zum 31.3. gekündigt. Ich werde dagegen juristisch vorgehen (…). Ich wäre die erste Person, der in D wegen „Plagiat“ gekündigt würde: es wird spannend“.

Guerot scheint zu glauben, dass Plagiieren in einem nicht-wissenschaftlichen Buch unbedenklich oder zumindest weniger bedenklich ist als in einer wissenschaftlichen Publikation. Das halte ich für falsch, denn die wissenschaftlichen Standards gelten in beiden Bereichen. Weiterhin meint Guerot, dass ihr ein Unrecht geschehe, denn es wurde in Deutschland noch niemandem wegen Plagiat gekündigt (Guerot ist nicht verbeamtet, daher keine „Entlassung aus dem Dienst“.). Dies ist auch falsch. Die FAZ (24.2.2023) schreibt: es „weiß niemand genau, ob es solche Kündigungen wegen Plagiaten schon gegeben hat (nicht alle Gerichtsentscheidungen werden veröffentlicht), zum anderen gab es bereits Kündigungen von Hochschullehrern aufgrund des Verlusts eines Doktorgrades, ausgelöst durch Plagiate.“

Plagiat führt nicht immer zur Enlassung, wie im Fall der Soziologin Cornelia Koppetsch an der TU Darmstadt. Das Plagiieren war hier so umfangreich, dass es zu zwei Disziplinarverfahren kam; jedes Mal wurden universitäre Sanktionen verhängt. Eine Untersuchungskommission konstatierte eine (Spiegel, 30.5.2022) „verfestigte (unrichtige) Einstellung“ bei der Professorin. Koppetsch forscht und lehrt weiter an der TU. Zur Art der Sanktionen wollte sich die Uni (Forschung & Lehre) „aus dienstrechtlichen Gründen“ nicht äußern. Die TU Darmstadt glaubt offenbar, dass das Fehlverhalten durch andere Leistungen (welche?) ausgeglichen werden kann. Das ist ein falscher Ansatz. So etwas geht z. B. im Abitur: ich konnte meine Fünf in Mathematik durch Einsen in Deutsch, Geschichte, Philosophie und Politik ausgleichen. Aber meine ungenügenden Leistungen in Mathematik waren kein Fehlverhalten – niemand konnte mir ein „verwerfliches mathematisches Verhalten“ vorwerfen. Deshalb war der Ausgleich durch andere Leistungen im Abitur möglich.

Wenn jemand als Plagiator überführt wird, dann verliert die Person das Ansehen innerhalb der Gemeinschaft der Gelehrten. Tommy Lee Jones erklärt dies einer Studentin in dem Film Man of the House: „Plagiarism is an academic crime, punished by academic death.“ Aber der Hochschullehrer ist nicht nur Forscher, sondern auch Lehrer.

Als Reaktion auf die Plagiatsvorwürfe gegen Koppetsch erklärte die Deutsche Gesellschaft für Soziologie: „Als Fachgesellschaft der akademisch lehrenden und forschenden Soziologie sieht sich die DGS in der Verantwortung für die Ausbildung der Studierenden, denen Lehrende die Standards des Faches auch ganz praktisch vermitteln und vorleben müssen – Studierenden, die überdies bei vergleichbarem Verhalten Gefahr laufen, ihren Prüfungsanspruch zu verlieren.“ Das heißt, ein Dozent, der bekanntlich abgeschrieben hat, wird Mühe haben, den Studenten zu vermitteln, dass man sich nicht mit fremden Federn schmücken darf. Durch ein solches Fehlverhalten verliert ein Professor einen Großteil seiner Autorität. Man wird ihn auslachen, wenn er Erstsemestern sauberes wissenschaftliches Arbeiten in Bezug auf das Zitieren beibringen will.

Schlimm ist es auch, wenn man von seinen Studenten abkupfert. 2008 wurde bekannt, das ein Bonner Professor die Examensarbeit einer Studentin unter seinem Namen veröffentlichte. Als Folge durfte er nicht mehr als Prüfer fungieren. Laut Spiegel (18.3.2008) erklärte der Dekan der Philosophischen Fakultät, Jürgen Fohrmann: „Wir wollen zeigen, dass Professoren, die Vorbild sein sollen, bei geistigem Diebstahl nicht schonender behandelt werden als Studierende“.

Ulrike Beisiegel, Ombudsfrau der Deutschen Forschungsgemeinschaft für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten erklärte (Spiegel, 12.5.2007): „Kollegen und Kolleginnen, die in größerem Maße plagiieren, müssen abgemahnt werden oder aus dem Job gehen. Das sind schließlich die Vorbilder. Da wird noch allzu oft mit einem Schulterzucken weggeschaut: Hat er halt ein bisschen abgeschrieben, nun ja.“

Ein einfaches Abmahnen halte ich bei sytematischem Plagiieren für verfehlt. Denn der Hochschullehrer bildet ja neue Generationen von Forschern heran. Er genügt dem, was er selbst von den Studenten verlangt, nicht. Aber, was noch schlimmer ist, der Gelehrte schädigt das, was ihm aufgegeben ist: die Forschung und Lehre zu fördern. Er sabotiert die Institution „Wissenschaft“ (nicht nur die Uni), in der er tätig ist.